fermentation

Guter Kaffee brauchte schon immer Fermentation. Doch wir entdecken den Stoffwechsel von Mikroorganismen für Kaffeequalität gerade nochmal ganz neu.
Wir erklären dir, warum und wie Fermentation im Kaffee eine Rolle spielt.

 

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Fermentation erfährt im Kaffee-Kontext ein zunehmendes Interesse. Im Spitzensegment der specialty coffees finden sich mehr und mehr Kaffees, die mit verschiedensten, teils sehr komplexen Aufbereitungsarten beworben werden. Für Lai:innen und selbst Expert:innen wird es da schnell schwierig den Überblick zu behalten. Mit diesem Blog-Beitrag möchten wir die Bedeutung der Fermentation für Kaffees ein wenig einordnen.
 
 
Was ist Fermentation?
 
Der Begriff Fermentation beschreibt Stoffwechselprozesse von Mikroorganismen wie Bakterien, Hefen oder Pilzen, die Zucker in andere Metabolite umsetzen (vor allem Alkohol, Essigsäure, Milchsäure, CO2 und spezifische, teils aromatisch aktive Metabolite). Im engeren, wissenschaftlichen Sinne sind diese Stoffwechselprozesse immer als anaerob definiert. Heute wird der Begriff Fermentation jedoch auf jegliche Form von mikrobieller Stoffwechselprozesse ausgeweitet. Fermentation ist allgemein eher von der Bier-, Wein- und Kombucha-Produktion bekannt.
Mikroorganismen befinden sich überall. Auf allen Oberflächen von Tieren, Pflanzen und Menschen, aber auch von Gegenständen. Jeder nicht-sterile Ort ist übersät mit Mikroorganismen.
Da Mikroorganismen Lebewesen sind, läuft ihr Stoffwechsel (Fermentation) so lange ab, wie sie unter den ihnen gegebenen Bedingungen überleben können. Dafür spielen neben Temperatur und Druck vor allem Nahrungsmenge (Glukose) und Sauerstoff eine entscheidende Rolle. Aerobe oder semi-aerobe Mikroorganismen sind abhängig von Sauerstoff, während anaerobe Mikroorganismen eine sauerstoffarme bis -lose Atmosphäre bevorzugen. Je nachdem ob die Fermentation in sauerstoffarmen oder -reichen Umgebungen stattfindet, sind aerobe oder anaerobe Mikroorganismen treibend für eine Fermentation. Solange kein einzelner Mikroorganismus isoliert wird und unter sterilen Bedingungen in eine geschlossene, ihm angepasste Umgebung inokuliert (hineingegeben) wird (hier würde man von kontrollierter Fermentation sprechen), ist ein Fermentationsergebnis jedoch immer das Produkt zahlreicher, verschiedener Mikroorganismen (eher als wilde Fermentation zu bezeichnen).
 
 
Warum spielt Fermentation eine Rolle in der Kaffeeproduktion?
 
Solange Mikroorganismen Zugriff auf Zucker haben (den wir in hoher Konzentration in der Mucilage-Schicht der Kaffeekirsche finden), betreiben sie ihren Stoffwechsel und setzen diesen Zucker in oben genannte Metabolite um. Der Zugang zum Zucker einer unversehrt gewachsenen Kaffeekirsche wird ihnen nach der Ernte erleichtert, da das Abrupfen der Kirsche vom Ast eine kleine Zugangspforte für die Mikroorganismen eröffnet. Hierüber erreichen sie den Zucker schneller und die Fermentation wird mit Zeitpunkt der Ernte stark beschleunigt. In diesem Moment bewirken sie zwei Dinge:
 

  1. Ablösung des Fruchtfleisches vom Samen (mikrobiotic demucilation)
  2. Veränderung des Aromas der Frucht und des Samens

 
Der erste Effekt spielt eine zentrale Rolle bei der als natural bezeichneten Kirschverarbeitung, der Trocknung der Kaffeekirsche in der Sonne. Mikroorganismen haben die Fähigkeit, Pektin enzymatisch zu spalten, einem Bestandteil der Mucilage (schleimige Schicht unter der Kirschhaut). Dadurch dienen sie der Freilegung des Samens (unserer Kaffeebohne) vom Kirschfleisch.
 
Den zweiten Effekt finden wir bei jeder Aufbereitungsform, egal ob bei gewaschenen, sonnengetrockneten oder jeglichen Mischformen. Dieser Effekt kann gezielt eingesetzt werden, um Aromen zu bilden oder zu verstärken oder aber vermieden werden. Habe ich Angst vor unkontrollierter Fermentation mit unerwünschten Ergebnissen, kann ich den Fermentationsprozess möglich früh beenden, in dem ich den Mikroorganismen Zucker entziehe. Dies geschieht bei der gewaschenen Aufbereitungsform durch einen Entpulper, der das Fruchtfleisch mechanisch vom Samen entfernt und einer anschließenden (Ab-)waschung. Ergebnis sind häufig ein defektfreier und klarer, jedoch auch tendenziell flacherer Kaffeegeschmack.
Bei allen anderen Aufbereitungsformen nimmt Fermentation einen bedeutsamen Einfluss auf den Kaffeegeschmack, indem sie zum einen Säuren wie Essigsäure oder Milchsäure produzieren und zum anderen sehr spezifische Aromen ausbilden, die sich im Kaffeegeschmack wiederfinden lassen.
Wie ausgeprägt dieser Einfluss ist hängt von diversen Faktoren ab: in erster Linie der vorherrschenden Mikroorganismen-Art, der Dauer der Fermentation, die wiederum abhängig ist von Temperatur, Sauerstoff, Druck und Zuckerangebot.
Unter kühleren Bedingungen laufen Stoffwechselprozesse, so auch Fermentationen langsamer ab. Sie brauchen somit länger, um zu einem gewissen Endpunkt zu gelangen, als bei wärmeren Temperaturen. Darin liegen teils überraschend hohe Differenzen in Angaben begründet, die wir auf Kaffeetüten finden, wenn von 48 Stunden oder 180 Stunden langen Fermentationen die Rede ist. Vorteil langsamerer Fermentationen ist, dass sich die gewünschten spezifischen und meist sehr volatilen Aromen der Mikroorganismen stärker im Kern (in diesem Fall der Kaffeebohne) anreichern und binden können. Der Einfluss auf den Gesamtgeschmack wird so größer.
Die Krux beim gezielten Einsatz von Fermentation liegt im Abschätzen des richtigen Maßes. Ein zu wenig bedeutet Verzicht auf geschmackliches und aromatisches Potenzial, während ein zu viel unangenehm stechende, saure und an vergorene Lebensmittel erinnernde Aromen ausbildet.
Um abschätzen zu können, wie viel Fermentation nötig oder gewünscht ist, bedarf es sowohl der Kenntnis der partizipierenden Mikroorganismen, als auch eines genauen Monitorings der auf sie einwirkenden Parameter wie Sauerstoff- und Zuckergehalt, Temperatur und Druck. Wie bereits oben erwähnt, hat jeder Mikroorganismus, Bakterium, Hefe oder Pilz, ganz eigene Ansprüche. Und: Wir reden hier von Lebewesen, nicht Maschinen. Lebewesen können sich anpassen und ihr Verhalten verändern. Genauso können sich die Stoffwechselprozesse der Mikroorganismen verändern. Ihr Verhalten ist nie zu 100% vorhersehbar.
 
Die in der Praxis eingesetzten Verfahren zur gezielten, geschmacksmodulierenden Fermentation lassen sich grob in zwei Verfahren aufteilen:
Ein anaerobes (häufig unter Zugabe von Wasser erzeugt) und ein eher aerobes.
 
Unter anaeroben Bedingungen, beispielsweise im Wassertank oder auch aufwendiger in sauerstofffreien Stahltanks, sind vor allem Bakterien fermentationstreibend. Hierunter fallen insbesondere Milchsäurebakterien, die beispielsweise auch für die Herstellung von Joghurt essenziell sind. Ihr Einfluss führt häufig zur Ausbildung von eher säurebetonten, spitzen Geschmäckern.
 
In aeroben Bereichen, beispielsweise bei der sonnengetrockneten Aufbereitung oder aber in „mäßig“ verschlossenen Behältern sind neben Essigsäurebakterien vor allem Hefen aktiv, die dem Kaffee durch „Ausscheidung“ langer Polysaccharide, die von naturals gewohnte, vollmundige Textur und zusätzlich Süße verleihen. Da Hefen um ein Vielfaches größer als Bakterien sind, brauchen sie länger, um an die zuckerhaltige Mucilage heranzukommen. Eher fermentationstreibend sind sie daher bei längeren Fermentationszeiten (Beispiel: 20 Tage Trocknung auf einem Patio) und bei beschädigten oder bewusst gequetschte Kirschen (z.B im Rahmen des Entpulpens oder beim Honey Process). Je nach Hefe-Art kommen häufig auch florale oder würzig-erdige und an Brot erinnernde Noten hinzu.
 
 
Warum wird Fermentation gezielt eingesetzt?
 
Während einer Fermentation produzieren Mikroorganismen neben Alkohol und Säuren auch Peptide und Polysaccharide. Diese können über besondere, aromatische Merkmale verfügen, die den Gesamtgeschmack der fermentierten Frucht (bzw. im Kaffee-Kontext, des Samens) komplexer und aufregender machen. So kann durch Fermentation aus einem eher einseitigen, faden Geschmack ein höchst komplexes Geschmackserlebnis hervorgehen.
Neben dem Effekt, dass durch sich bildende Säuren, wie Essigsäure oder Milchsäure, die Fruchtsüße verstärkt und belebt wird, wirkt Fermentation häufig in Form eines Hochregulieren der Aromen- und Geschmacksintensität einer Frucht.
 
Kurz: Fermentation ist essenzieller Bestandteil eines interessanten Kaffeegeschmacks und das auch schon immer gewesen. Nur die Aufmerksamkeit für Fermentation verschiebt sich zurzeit: Galten Fermentationsnuancen bis vor kurzem noch als ausgesprochen unerwünscht, sind sie seit wenigen Jahren gefragter denn je.
Kaffee wurde und wir außerhalb des specialty-Sektors hauptsächlich der Menge und weniger des Geschmacks wegen produziert. Sich mit Methoden zur Geschmacksmodulation zu beschäftigen war wirtschaftlich bisher überhaupt nicht rentabel.
 
Darin liegt ein Problem: Über Jahrzehnte hinweg ist von Produzent:innen gefordert worden, Fermentation möglichst zu verhindern, da Fermentationsnoten als Defekt und damit Kennzeichen für mangelhafte Qualität und Verarbeitungspräzision galten. Heute werden die Produzent:innen durch eine marketing-technisch aufgebauschte Nachfrage zu komplexen und risikobehafteten Fermentationsprozessen gezwungen (wir reden hier von Kontrolle über einen bunten Strauß an verschiedenen Lebewesen). Durch die jahrelange Meidung ist ein notwendiges Wissen jedoch, mit wenigen Ausnahmen größerer und mit Budget gesegneter Farmen, leider nicht vorhanden. Abgesehen davon sind kontrollierte oder auch nur verlängerte, wilde Fermentationen sehr arbeits- und zeitintensiv. Statt herkömmlicher Verarbeitung und Trocknung werden hierbei zusätzliche Zeit und Raum-Ressourcen beansprucht. In großen Eimern oder Wasserbecken gefüllt, müssen die zu fermentierenden Kirschen tagelang observiert werden. Gepaart mit der Gewissheit, dass das gewünschte Ergebnis nicht garantiert werden kann (vor allem wenn ausgewiesenes Know-How fehlt), stellen Fermentationen ein wirtschaftlich hohes Risiko, insbesondere für kleinere Produzent:innen dar.
 
Auf der anderen Seite aber auch eine große Chance!
 
Gezielter Fermentationseinsatz kann als zusätzliches, sehr wirksames Instrument benutzt werden, um Kaffeequalität zu kontrollieren und anzuheben oder auch wetterunabhängiger zu machen. Und dabei nicht nur auf specialty coffees bezogen, sondern „Massenqualitäten“ inbegriffen.
Kann ein Produzent:in den Fermentationsprozess seines Kaffees, der diesen qualitativ (und geschmacklich) hochwertiger macht, nachvollziehen und dadurch (im besten Fall in größeren Mengen) konstant replizierbar machen, kann er ein planungssicheres, höheres Einkommen erzielen.
Daher ist es wichtig, neben dem ganzen Wissen zum Kaffeeanbau und -pflege, auch Wissen zu Fermentation zu verbreiten und zugänglich zu machen. Sowohl unter Produzent:innen, als auch unter Käufer:innen, da sie die Bedeutung von spannend klingenden Fermentationen besser einschätzen können und ihr Kaufverhalten letztlich weniger auf Grundlage gezielten Marketings, als auf Grundlage von Wissen basiert.


Die Aussicht dieser Entwicklung ist super spannend. Die meisten Fermentation laufen noch, mangels exakten Monitorings, wild und eher unkontrolliert ab. Vielleicht sehen wir in Zukunft aber mehr und mehr Kaffees, die von inokulierten und isolierteren Mikroorganismen und damit auch kontrolliert fermentiert werden.

 

Du hast Lust, Kaffeefermentation geschmacklich und praktisch zu verstehen?


Unser neues kolumbianisches Chamäleon wurde bei kühlen Temperaturen von um die 20 Grad über 180 Stunden langsam und semi-aerob in Plastikfässern fermentiert. Der Druck auf untenliegende Kirschen und die zunächst aerobe Umgebung fördert eine Hefe (hier vor allem Saccharomyces)-getriebene Fermentation. Durch den zunehmenden Sauerstoffmangel sind auch Milchsäurebakterien aktiv. Dies verleiht diesem Kaffee neben einer sehr komplexen Aromatik eine belebende laktische Säure und vor allem eine vollmundigere Textur.


Unterschiedlich dazu der guatemaltekische Tucan: dessen Kaffeekirschen wurden nach dem ersten Entpulpen mit dem Fruchtfleisch zusammen über längere Zeit (30 Stunden bei milden Temperaturen von um die 18-20 Grad) im unverschlossenen Wasserbecken, das heißt einem vor allem anaeroben, aber oberflächlich auch aeroben Milieu, fermentiert. Dieses Verfahren erinnert (abgesehen von den präsenten Mikroorganismen) ein klein wenig an die Herstellung von Kombucha.
Beim Tucan sind daher neben Hefen aber vor allem Bakterien, wie Milchsäure- und Essigsäurebakterien fermentationstreibend. Daher kommt dieser Kaffee mit leichten und angenehmen Noten von gärendem Obst, kombiniert mit einer spritzigen Säure und einer sirupartigen Textur.
 

Autor: Frederik Baumann


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