kaffee und säure

Kein einfaches Thema: Säure im Kaffee. Warum so viel gestritten wird und sie geschmacklich dennoch so wichtig ist, erfährst du hier.

 

Säure im Kaffee, Spezialitätenkaffee 

 

Kaum ein Thema ist für die Welt der Spezialitätenkaffees von solch besonderer Bedeutung und gleichzeitig doch sehr brisant. Es geht um Säure im Kaffee. Säure im Kaffee polarisiert und spaltet die Kaffeetrinker:innen in zwei Lager. Wir möchten dem heute etwas auf den Grund gehen. Wir möchten erklären, was Säure ist, wie sie in den Kaffee kommt und warum die einen so von ihr schwärmen und die anderen ihr gegenüber sehr abgeneigt sind.

Die Interpretation von Geschmäckern hat für das Lebewesen Mensch eine funktionale Bedeutung. Studien konnten nachweisen, dass Kinder von Natur aus eine Abneigung gegenüber Bitterstoffen empfinden, die sie vor meist bitteren Giftstoffen in der Nahrung warnen soll. Diese Abneigung kann im Laufe des Lebens durch positive Erfahrungen verlernt werden. Oder umgekehrt: Die Wertschätzung bitterer Geschmackstoffe kann erlernt werden. Hier denken wir vor allem an den Geschmack von Bier, Kaffee oder Spinat, dem wir im Kindesalter sehr abgeneigt sind, im Laufe des Lebens aber häufig zu lieben beginnen.

Ganz ähnlich verhält es sich mit Säuren. Wie ich eine Säure in einem Lebensmittel wahrnehme, hängt mit meinen Assoziationen zu ihr zusammen. Lerne ich im Laufe der Zeit, dass Säure Ausdruck von Frische sein kann, schmeckt mir etwas sehr Saures tendenziell gut. In einem grünen Apfel beispielsweise verbinden wir Säure mit einer positiven Frische. Im Kaffee hingegen hat sich in Europa durch die weite Verbreitung dunkler (italienischer) Röstungen die Assoziation zwischen Kaffee und einer bitteren, säurearmen Geschmackswahrnehmung gefestigt. Säure ist hier, ganz anders als zum Beispiel in südamerikanischen Ländern, wo Kaffee vorwiegend als spritziger Filterkaffee zubereitet wird, negativ konnotiert.

Schauen wir mal über den Tellerrand hinüber in die (Spitzen-)Gastronomie. Hier wird Säure ganz anders wahrgenommen. Abseits der allgemeinen Abneigung, gilt Säure hier in jedem Gericht als absolut essenziell. Sie erfrischt ein Salatdressing, erleichtert einen schweren Eintopf oder belebt süße Desserts. Ohne Säure schmecken Brühe, Salat oder Zitronenlimonaden sehr fad und langweilig. Auch die Beliebtheit des geriebenen Parmigiano Reggiano auf einer italienischen Pasta ist ihrer ausgeprägten Säure zu verdanken.

Warum ist das so?

Säure unterstützt Süße (umgekehrt übrigens genauso). Ein süßes Dessert kann schwer und einnehmend sein. Eine spritzige Säure hebt die Süße hervor, verleiht ihr eine angenehme, belebende Frische. Überwiegt jedoch die Säure und fehlt eine ausgeprägte Süße, nehmen wir Säure sehr unangenehm und stechend wahr. Entscheidend ist die Balance! Wird eine volle Süße durch eine dezente Säure hervorgehoben und erleichtert, wirkt der Geschmack sehr balanciert und rund und fühlt sich saftig an.

Zurück zum Kaffee.

Um Säure im Kaffee besser zu verstehen, müssen wir uns zunächst den Begriffen Säure und sauer zuwenden. Hier sind wir im deutschen leider sehr unpräzise.

Der pH-Wert von Kaffee liegt bei 4,5-5 und ist damit weniger sauer als Wein (4) oder Orangensaft (3,5).

Sauer bezieht sich also erst einmal nur auf den pH-Wert, während Säure die geschmackliche Wahrnehmung beschreibt. Ein als säureintensiv wahrgenommener, heller Kaffee verfügt jedoch über denselben pH-Wert wie ein als bitter wahrgenommener, dunkler Espresso. Du brauchst dir also bei säurebetonten Kaffees keine Gedanken um deine Magenschleimhaut zu machen. Sie unterscheidet nicht zwischen verschiedenen Kaffeeröstungen.

 

Welche Säuren gibt es im Kaffee?

Im Kaffee präsentieren sich eine ganze Reihe verschiedener Säuren, die zunächst in die zwei Gruppen Chlorogensäure und organische Säuren unterteilt werden können. Die kaffeetypische eher bitter schmeckende Chlorogensäure zerfällt zu größten Teilen beim Röstprozess in Chlorogensäurelactone, die zur bekannten, als angenehmer empfundenen Bitterkeit des Kaffees führt. Organische Säuren sind unter Temperatur sehr fragil und gehen mit zunehmender Röstzeit verloren. Sie sind die spannenden und erstrebenswerten Säuren im Kaffee. Dazu zählen vor allem:

Zitrische Säure:

Sie kommt mit der höchsten Konzentration, jedoch unterschiedlich deutlich im Geschmack eines Kaffees vor. Ein Kaffee mit deutlicher zitrischer Säure erinnert an Orangen, Zitronen oder anderen Zitrusfrüchten.

Apfelsäure:

Sie kommt vor allem in Obst wie Äpfeln, Weintrauben oder Stachelbeeren vor.

Geschmacklich ähnelt sie der zitrischen Säure, wirkt frisch und grün.

Essigsäure:

Sie gewinnt an Bedeutung bei fermentierten Kaffees. Dezente Essigsäuren liefern Komplexität und Fruchtigkeit, ein zu viel ist definitiv ein Defekt und entsteht bei unkontrollierter Fermentation.

Milchsäure:

Auch der Milchsäure-Gehalt lässt sich durch Fermentation steigern und gibt dem Kaffee eine schwere, volle Textur.

 

Wie kann ich Säure im Kaffee kontrollieren?

Entlang des gesamten Prozesses eines Kaffees von der Kirsche zu dir als Getränk gibt es zahlreiche Verarbeitungsschritte, die Einfluss auf die Säurewahrnehmung des Kaffees nehmen.

 

Kaffeesorten:

Die Kaffeesorte Arabica enthält mehr Säure als seine Verwandten der Sorte Canephora (bekannter unter dem Namen einer seiner Varietäten: Robusta). Unterstützt wird diese Wahrnehmung zusätzlich durch die häufig intensivere und damit säurereduzierende Röstung der Canephora/Robusta-Kaffees (s.u).

 

Kaffeeaufbereitung:

Gewaschene und fermentierte Kaffees neigen zur Ausprägung intensiverer (klarer) Säuren, während die Säure in natural aufbereitete Kaffees häufig durch ihre intensive Fruchtsüße weniger dominant und balancierter ist.

 

Rösten:

Beim Rösten setzen wir den Rohkaffee großer Hitze aus, die die Zellstrukturen der Kaffeebohne zerstört und mit zunehmender Temperatur und Röstdauer durch die Maillard-Reaktion Zucker karamellisiert. Gleichzeitig wird Chlorogensäure zu Chlorogensäurelactone abgebaut. Insgesamt entsteht dadurch Bitterkeit und Säure nimmt ab.

Hellere, leichtere Röstungen, die die feste Bohnenstruktur mehr erhalten und weniger Zucker karamellisieren lassen, erzeugen somit säurebetontere Kaffees.

 

Kaffeezubereitung:

Die Zubereitung des Kaffeegetränks ist am Ende der Hebel, den du betätigen kannst und der leider bei hellen Röstungen nicht immer ganz einfach ist.

Zunächst sollte die Wassertemperatur beim Brühen stimmen. Speziell bei Espressobezügen betonen niedrigere Brühtemperaturen (unter 93°C) die Säure, während höhere Temperaturen (94-96°C) eher zu bitteren Geschmackausprägungen führen. Ähnliche Beobachtungen machen wir auch bei Filterkaffeezubereitungen.

Über die Brühzeit kann ich ebenfalls mit Säure spielen. Kürzere Brühzeiten (beim Espresso wie auch beim Filterkaffee) heben die Säure in den Vordergrund, während eine längere Brühdauer zu bitteren Ergebnissen führt. Hier gilt es für jeden Kaffee den optimalen Sweet Spot zu finden, an dem seine Süße dominant ist und durch Säure und Bitterkeit harmonisch ausbalanciert wird. Hellere Röstungen sind da in der Espressozubereitung etwas anspruchsvoller. Wähle hier längere Brühzeiten (um die 30 Sek und mehr), um die intensivere Säure hinten heraus durch Bitterkeit und Körper auszugleichen. Bei Filterkaffees kannst du viel und einfacher mit der Säure spielen und beispielsweise charakteristische, klare Säuren kenianischer oder äthiopischer Kaffees durch kürzere Brühzeiten gezielt hervorheben.

Das Wasser der Kaffeezubereitung kann je nach Zusammensetzung sowohl basisch, als auch sauer auf den Kaffee wirken und sollte zum Zwecke besserer Kaffeeergebnisse kontrolliert eingesetzt werden. Die Kafeemacher aus der Schweiz haben hierzu einen sehr umfangreichen Beitrag verfasst (https://www.kaffeemacher.ch/blog/kaffeewasser/).

 

Wann wird Säure im Kaffee unangenehm?

Hier komme ich noch einmal auf den Ausflug in die Welt der Küchengastronomie zurück:

Säure im Kaffee empfinden wir als unangenehm, wenn sie zu prägnant in den Vordergrund tritt und nicht durch eine dominante Süße ausbalanciert wird.

Durch die Aufbereitung, Röstung und vor allem zum Schluss die Art der Kaffeezubereitung möchte ich ein balanciertes, rundes Getränk erzeugen, in dem die Kerngeschmäcker eines Kaffees Säure, Süße und Bitterkeit in einem ausgeglichenen Verhältnis stehen. Genauso wie Bitterkeit, darf Säure im Getränk nicht unangenehm überwiegen, damit wir es als lecker empfinden. Dies ist der Grund, warum Süditaliener:innen in ihren kräftig gerösteten und bitteren Espressi gerne einige Löffel Zucker verschwinden lassen oder Zitronenlimonaden immer eine gute Menge Zucker beigefügt wird. Hochwertige und ausgesprochen süße Spezialitätenkaffees vertragen wesentlich mehr Säure. Die Süße wird durch eine balancierte Säure sogar noch unterstützt und verstärkt! Weniger süße, minderwertige Kaffees jedoch können Säuren durch Süße nicht ausreichend ausgleichen. Hier führen helle Röstungen und eine säurebetonte Zubereitung zur Wahrnehmung, intensiver, unangenehmer Säure.

 

Was bedeutet das für uns Spezialitätenröster?

Wie kann ich als Spezialitätenröster:in meinen Gäst:innen die aromatische Besonderheit und Qualität hellerer Röstungen hochwertiger Spezialitätenkaffees näherbringen, ohne seine Angst vor intensiver Säure zu bestätigen?

 

  1. Eine optimale Zubereitung

Helle Espressoröstungen sind in der Zubereitung sehr anspruchsvoll und bedürfen hoher Präzision. Die optimale Zubereitung eines fruchtigen, süßen und säurebetonteren Kaffees ist essenziell, um ihre außergewöhnliche Süße nicht durch eine zu dominante Säure zu überdecken. Bei vielen Kaffeetrinker:innen, die im Kontakt mit hellen Röstungen von ihrer Säure überwältigt worden sind, ohne die ausgeprägte Süße genießen zu können, bilden eine Assoziation zwischen leicht gerösteten Spezialitätenkaffees und unangenehmen Säuren. Diese zu durchbrechen wird schwieriger, je fester sie ist.

 

  1. Erkläre deinen Kaffee!

Wir haben die Erfahrung gemacht, dass die Erklärung komplexer sensorischer Erlebnisse beim Genuss eines Kaffees zu einem großen Mehrwert für die Wahrnehmung des Kaffeegetränks führt. Wenn ich also meinem Gast:in den Espresso serviere und gleichzeitig ein paar prägnante und besondere Eigenschaften des Kaffees nenne, führt das zu mehr Verständnis und Wertschätzung dessen, was ein Gast:in im Espresso schmeckt. Erwartet es einen eher bitteren Espresso, dürfte es durch frische Säuren im Kaffee überrascht werden. Wird ihm erklärt, dass der Kaffee über eine besondere Zitrussäure verfügt, erhöht das die Wahrscheinlichkeit, dass ein noch ungeübter Gast:in diese Säure nicht nur wahrnimmt, sondern erkennt und zu schätzen beginnt. So kannst du deine Gäst:innen zu positiven Erfahrungen und Bildung neuer Assoziationen zwischen Kaffee und Säure hinführen.

 

  1. Den Fokus verschieben

Phillip Schallberger von den schweizer Kaffeemachern wählt in seinem Beitrag zu Säure im Kaffee einen anderen Ansatz. Er schlägt vor, den Fokus weg von Säure, mehr auf Aromen und Textur zu legen. Vielleicht sollten wir in Gesprächen über Spezialitätenkaffees weniger über Säure, als über ihre Besonderheiten in Textur und Aromenvielfalt reden, um das große Potenzial dieser Kaffees aufzuzeigen. Die Bedeutung der Säure dürfen wir nicht immer zu hoch hängen und jedes Gespräch über Spezialitätenkaffees beherrschen lassen.

 

  1. Akzeptanz

Geschmäcker sind verschieden. Die Sensibilität für Säure, Bitterkeit und Süße sind aufgrund sehr unterschiedlicher Erfahrungswerte und kultureller, ja sogar genetischer Unterschiede verschieden ausgeprägt. Feste, über Jahre entwickelte Assoziationen zwischen einem Geschmack und einem Gefühl lassen sich nicht durch ein wenig Wissen im Handumdrehen anpassen. Es braucht Zeit. Vielleicht werden sich diese Assoziationen bei manchen Menschen auch nie ändern und das ist ok. Das sollten wir akzeptieren, wie wir es auch akzeptieren, dass es Menschen gibt, die Fisch, Käse oder Koriander nicht mögen.

 

Jetzt zur Praxis:

Wenn du mehr über Säure im Kaffee lernen und Besonderheiten in Säure schmecken möchtest, möchten wir dir unseren gewaschen aufbereiteten Äthiopier aus Sidamo (der kolibri) empfehlen, der sich durch eine klare und frische Zitrussäure auszeichnet.

Oder aber den flamingo (natural aufbereitet aus Yirgacheffe, Äthiopien) mit seiner intensiven, vollen Fruchtsäure.

 

Autor: Frederik Baumann


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